Wasserstoff – Ein Blick in Wirtschaft und Politik
14.10.2020, 09:54

Von Anh Tuan Nguyen, Intern, aream Group


Wie sieht die Welt von morgen aus? Wie sehen Energiesysteme aus, mit denen die Pariser Klimaziele erreicht werden können? Obgleich es viele Zukunftskonzepte gibt, wird immer deutlicher, dass Wasserstoff eine der zentralen Positionen darin einnimmt – so bedeutend, dass die Europäische Kommission das Thema als eines von sechs zum „Important Project of Common European Interest“ erklärt hat, als wichtiges Vorhaben von gemeinsamem europäischen Interesse.


Die Rolle von Wasserstoff
Als Energiespeicher wird Wasserstoff als eine der wichtigsten Technologien für die Energiewende gehandelt. Die Idee dahinter: Energie von Solar- und Windanlagen wird durch Elektrolyse in Wasserstoff gespeichert und zu gegebener Zeit weiterverarbeitet. So arbeitet Dänemark derzeit am weltweit größten Wasserstoffprojekt an der Küste vor Kopenhagen. Energie von Off-Shore-Windanlagen werden in einer 1,3 GW-Anlage in Wasserstoff gespeichert und für weitere Anwendungen bereitgestellt.

Eine weitere, prominente Anwendung von Wasserstoff ist seine Rolle in der Brennstoffzelle. Getrennt durch eine Elektrolytmenbran reagiert der Wasserstoff in der Anode mit dem Luftsauerstoff in der Kathode – die Elektrolyse wird umgekehrt. Durch diesen Prozess werden elektrische Energie und Wasser CO2-neutral erzeugt. Der Automobilkonzern Audi experimentiert bereits seit 2014 in diesem Bereich mit Wasserstoff-Konzeptmodellen wie dem h-Tron. Bisher ist es aber vor dem Hintergrund der Elektro-Offensive zu keiner Serienreife eines Audi-Modells gekommen.

 

Funktion einer Brennstoffzelle:

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Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Brennstoffzelle, 12.10.2020

 

Eine Wasserstoff-Farbenlehre
Für die Energiewende relevant ist vor allem der „grüne“ Wasserstoff. Dieser wird durch Elektrolyse aus Wasser hergestellt, wobei für die Elektrolyse ausschließlich Strom aus Erneuerbaren Energien zum Einsatz kommt. So erfolgt die Produktion von Wasserstoff CO2-frei.

„Grauer“ Wasserstoff wird hingegen aus fossilen Brennstoffen gewonnen. Das CO2 wird anschließend ungenutzt in die Atmosphäre abgegeben und verstärkt so den globalen Treibhauseffekt.

„Blauer“ Wasserstoff ist „grauer“ Wasserstoff, wobei das CO2 bei der Entstehung abgeschieden und gespeichert wird. Das bei der Wasserstoffproduktion erzeugte CO2 gelangt daher nicht in die Atmosphäre, sodass dieser Wasserstoff als CO2-neutral betrachtet werden kann. 


Das Potenzial von Wasserstoff für Klima und Wirtschaft
Sämtliche Prognosen gehen bereits am Ende des Jahrzehnts von einem riesigen Markt für Wasserstoff aus. Japan rechnet für 2030 in der Binnenwirtschaft mit einer Versechsfachung der Wasserstoffnachfrage. Die Strategieberatung McKinsey & Company berechnet in einer Studie aus dem Jahr 2018, dass der Markt für Wasserstoff und dessen Anwendungen im Jahr 2050 fünf Billionen US-Dollar ausmachen und 13 Prozent der weltweiten Energienachfrage decken wird. Goldman Sachs und die Bank of America unterstreichen diese Aussage mit Studien und erklären, dass Industriestaaten und führende Schwellenländer 25 Prozent der weltweiten Energienachfrage mit Wasserstoff anstrebten und der Markt bei 2,5 Billionen US-Dollar (ohne Anwendungen) läge. Diese Annahmen schlagen sich auch auf den Aktienmarkt nieder: So stiegen die Aktienkurse der drei führenden Wasserstoffhersteller Ballad Power, Nel Asa und PowerCell Schweden im Durchschnitt 150 Prozent im Vergleich zum Vorjahr.


Die Kosten von Wasserstoff werden schneller sinken als bisher angenommen
Den Weg in die zukünftigen Billionen-Märkte sollen sinkende Kosten ebnen. Die internationale Organisation Hydrogencouncil, welche aus 92 führenden Unternehmen aus dem Energie-, Transport-, Industrie- und Finanzsektor besteht, prognostiziert Kostendegressionen von über 60 Prozent bis 2030. Zusätzlich gehen sie in ihrer aktuellen Studie über die Wettbewerbsfähigkeit von Wasserstoff davon aus, dass in einigen Sektoren wie Mobilität durch Lern- und Skaleneffekte über 70 Prozent Einsparungen möglich seien.


Durch die steigende Wettbewerbsfähigkeit steigt die Attraktivität der Anwendungen. So erwartet McKinsey in seiner diesjährigen Wasserstoff-Studie bereits 2025 wirtschaftlich sinnvolle Anwendungen wie mit Brennstoffzellen betriebene LKW, Busse und Züge. In der urbanen Mobilität werden von 2025 bis 2030 Wasserstoff betriebene SUVs und Taxen gegenüber Diesel- und Elektrofahrzeugen energetisch effizienter. Bei kleineren PKW wird vermutlich die Elektromobilität vor allem in den Städten die innvollere Alternative bleiben. In den Haushalten sollen auch Heizkörper konkurrenzfähig werden. Durch die wesentlich komplexeren Anwendungen in der Industrie kann Wasserstoff dort vermutlich erst ab 2030 sinnvoll eingesetzt werden.


Die Politik sieht in Wasserstoff große Möglichkeiten
Die Nationale Wasserstoffstrategie, welche Mitte des Jahres vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie verabschiedet wurde, sieht ein neun Milliarden Euro schweres Förderprogramm vor. So soll die Technologie die weitere Dekarbonisierung im Zuge der Energiewende unterstützen und deutsche Forschungsinstitute sowie Unternehmen durch 38 Maßnahmen in eine internationale Vorreiterrolle bringen. 


Neben der Nationalen Strategie gibt es auf Länderebene weitere Strategien und Initiativen: So verfolgt Hessen beispielsweise eine Wasserstoff-Initiative durch Zusammenschluss von Firmen, Universitäten und Forschungsinstituten. Themenschwerpunkte sind unter anderem der Ausbau der Infrastruktur und Investitionen in den Mobilitätssektor. In der Norddeutschen-Wasserstoff-Strategie schlossen sich die Bundesländer Bremen, Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachen und Schleswig-Holstein zusammen. Ziel ist es, Norddeutschland zu einem Wasserstoff-Knotenpunkt auszubauen. Bis 2025 soll dafür in Elektrolyse-Leitungen von 500 MW und bis 2030 von mindestens fünf GW investiert werden.


Auch auf europäischer Ebene hat Wasserstoff eine besondere Bedeutung: Die Europäische Kommission deklarierte die Technologie zu einem der sechs „Important Project of Common European Interest“. In einer europäischen Allianz unter Federführung Deutschlands soll das Thema weiter forciert und in Infrastrukturprojekte umgesetzt werden. Die Investitionsschätzung belief sich beim ersten Kick-off im Juli 2020 auf 430 Milliarden Euro.